Mein freier Tag in Santiago de Compostela

Mein freier Tag in Santiago de Compostela

So ungewohnt, so anders, so einsam, startete mein heutiger Tag in Santiago de Compostela. Ich war bereits, vermutlich ist mein Körper inzwischen vollkommen daran gewöhnt, kurz nach 6 Uhr wach und ziemlich müde. Ich blieb also noch bis 8 Uhr liegen und ging dann hinunter zum Frühstück. Ich gönnte mir ein paar Mini-Croissants und Naturjoghurt mit Honig, Kaffee und Orangensaft und etwas Obst. Im Anschluss nahm ich meinen kleinen Stoff-Rucksack, den ich am ersten Tag in Porto gekauft hatte und begab mich auf Erkundungstour.

Mein Hotel liegt nur etwa 800 Meter von der Kathedrale entfernt und als ich zu genau jener emporschritt, lag diese vor der aufgehenden Sonne im leichten Nebel. Was für ein Anblick.

Selbstverständlich erwachte Santiago gerade erst richtig zum Leben und ich wanderte zielstrebig zu meinem vorher ausgesuchten, laut Bewertungen in Google Maps, besten Barbier der Stadt. Dort angekommen, erhielt ich einen Termin für 13 Uhr und hatte demnach noch über 3 Stunden Zeit.

Und so besuchte ich unzählige Kirchen, die rund um die Kathedrale offenbar willkürlich entstanden oder bereits vorher existieren, ich konnte zumindest beim besten Willen kein System dahinter entdecken. Dafür jede von außen mächtiger und von Innen prunkvoller, als die vorherige, ich fühlte mich oftmals an Rom erinnert, denn die Kirchen-Dichte und -Ausstattung ist durchaus gleichzusetzen.

Mein Weg kreuzte zudem den einheimischen Markt von Santiago, ein riesiger und massiver, steinerner Flachbau, der aus langen Gängen besteht, in denen, voneinander separiert, von Käse, über Blumen, Obst und Gemüse, bis hin zu viel Fleisch und natürlich Fang-frischer Fisch verkauft wird. Gerade bei Letzterem ging mir, als absoluter Liebhaber, natürlich mein Herz auf. Die Vielfalt an unterschiedlichen Fischarten, Muscheln, Krebse, Krabben bis hin zu Hummer versetzen mich in atemloses Staunen und ich genoss den Anblick und wünschte, ich hätte einfach vieles davon mitnehmen können. Die Garnelen, Krabben und andere Schalentiere bewegten sich teilweise noch, ein untrügerisches Zeichen absoluter Frische.

Danach wanderte ich auf einen nahen Hügel und hatte so einen herrlichen Rundumblick, zum einen über Santiago de Compostela, zum anderen in die Richtung, aus der ich vor nicht ganz 24 Stunden gekommen war und jenes Tal in einem zarten Schleier noch tiefhängenden Nebels lag.

Als ich pünktlich 13 Uhr dann beim Barbier ankam, hatte ich noch wenige Minuten zu warten und bekam vom Chef des Hauses, einem Mann mit einem imposanten Bart, erst einmal ein kühles Bier angeboten, welches ich dankend genoss. Wenig später wurde ich dann von seinem jungen Angestellten bestens wiederhergestellt, Haare und Bart weisen nun wieder darauf hin, dass es sich bei meiner Person um ein menschliches Lebewesen handelt.

Nach dem Haarschnitt suchte ich mir ein idyllisch gelegenes Restaurant, welches einen Oktopus in seinem Logo hatte und bestellte mir als Vorspeise eine Vieiras (Kamm- oder eben Jakobsmuschel), also das Pilger-Symbol schlechthin und danach Gambas al Ajillo (Shrimps mit Knoblauch in Öl). Beides ein unbeschreibliches Gedicht und ein absoluter Gaumenschmaus, bei der Jakobsmuschel erhält man nicht nur das Fleisch der Muschel, sondern auch den Rogen. Ich putzte diese Muschel nach dem Verzehr des Inhalts mit Brot und anschließend einer Serviette so sauber, dass ich sie nach dem Essen mitnehmen konnte, sie befindet sich bereits gereinigt und gut verpackt in meinem Rucksack.

Nach dem Essen bummelte ich noch ziellos und sehr entspannt durch Santiago de Compostela, um vor der Kathedrale noch auf Helena aus Spanien zu stoßen, die ich vor 3 Tagen bei Bruno getroffen hatte. Sie musste notgedrungen ihre Reise an diesem Tag wegen entzündeter Blasen abbrechen und erklärte, dass sie gemeinsam mit ihrem Vater wieder kommen wird.

Heute war der bei blauem Himmel und strahlendem Sonnenschein aufgeheizte Platz vor der Kathedrale mit unzähligen Pilgern gefüllt. Ich beobachtete eine Zeitlang das bunte Treiben und freute mich über die sichtbaren Emotionen, die ich gestern am gleichen Ort für mich selbst erleben durfte.

Zum späten Nachmittag schlenderte ich zurück in mein Hotel, legte mich ins Bett und schlief einfach ein.

Heute habe ich gerade einmal 18.000 Schritte und 14,5 Kilometer zurückgelegt, ein Witz, wenn ich an die vergangenen Tage denke.

Inzwischen ist mein Rucksack vorbereitet und fast fertig gepackt, meinen Flug habe ich bereits online eingecheckt und mir einen Plan für den morgigen Tag gemacht. Da der Flughafen gerade einmal 11 Kilometer entfernt liegt, habe ich mich entschieden, auf ein Taxi oder öffentliche Verkehrsmittel zu verzichten und werde laufen.

Ein letztes Mal werde ich mich, mit meinen Wanderschuhen, mit meinem Rucksack, mit meiner Wasserflasche schwingend in der Hand und dem Gefühl der Freiheit im Herzen, auf den Weg begeben, um Galizien zu verlassen. Doch ich bin mir bereits sicher, dass ich an diesen magischen, alten und wunderschönen Ort, voller Menschen mit gleichen Intentionen zurückkehren werde.

Retrospektive

Ich habe, und darauf bin ich wirklich stolz und zugleich sehr froh, an meiner Planungs- und Packliste nichts auszusetzen. Alles, was ich auf meinem Rücken mit mir herumgetragen habe, habe ich tatsächlich genutzt, getragen oder verbraucht. Die Ausnahme bildet eine Sitzunterlage von Decathlon (60 Gramm), ein zweites Langarm-Merino-Shirt (ca. 120 Gramm) und eine leichte, lange Stoffhose (ebenfalls ca. 120 Gramm) und ein paar Power-Riegel als Notfallreserve. Sicher könnte man an einigen Stellen noch etwas optimieren, so dass ein halbes Kilogramm sehr sicher eingespart werden könnte.

Danksagung

Ich bedanke mich bei allen, die mich während meiner Reise am Telefon (also überwiegend via WhatsApp) oder hier lesenderweise mit viel Lob und Dank überschüttet, unterstützt, wichtiger aber noch, mich so begleitet haben und daher auch für mich zwangsläufig in irgendeiner Form zu meinem Camino dazugehören.

Es tat und tut gut zu sehen oder zu lesen, dass ich anderen, die nicht in den Genuss meiner Erlebnisse kamen, eine kleine Freude bereiten oder speziell meiner Familie die Möglichkeit geben konnte, ein winziges Stück daran teilhaben zu können.