Camino des Portugues, Teil 12, Ankunft in Santiago de Compostela

Camino des Portugues, Teil 12, Ankunft in Santiago de Compostela

Es ist vorbei.

Dieser Satz war heute derjenige, der wohl unterschwellig immer, und immer wieder, in meinem Hinterkopf schwebte. Dieser Tag erfüllt mich (noch immer) mit überwältigenden Emotionen, dass ich gar nicht versuchen werde, diese im Detail zu beschreiben, auf der anderen Seite schwingt eine gehörige Portion Wehmut mit, denn der Weg, mein Camino ist nun vorüber. Das Ziel ist scheinbar erreicht und dennoch stehe ich am Anfang, am Anfang des Camino real. Denn was ich an Eindrücken, Erfahrungen und Erlebnissen auf meinem Weg zu meinem Eigen gemacht habe, heißt es nun, in meinem Leben, welches mich schon sehr bald einholen wird, wieder zu erkennen - innezuhalten, zurückzuschauen und meinen Weg zu gehen.

Ich fühle mich durchflutet von einer derartigen gewaltigen Glückseligkeit, welche zu unterschiedlichen Teilen aus einer inneren Ruhe, tiefster Dankbarkeit, einer kleinen Portion Stolz und einer Unmenge an Freude besteht. Für den Fall, dass irgendjemand von Euch, der gerade beim Lesen dieser Zeilen sich die obligatorische Frage stellen sollte, ob für sie oder ihn dieser Weg nicht womöglich ebensolche Offenbarungen bereithalten könne, ich möchte dir davon abraten, auch nur einen Gedanken des Zweifelns zuzulassen und stattdessen ganz leise und behutsam flüstern: Tue es.

Der heutige Tag begann für mich kurz vor 7 Uhr, Anouk war bereits aufgestanden und dabei die Herberge zu verlassen und ich hatte, trotz unseres eher ungewollten Zimmergenossens, für ein paar Stunden Schlaf gefunden und war somit ebenfalls bereit, in den finalen Tag zu starten. Und so räumte ich sämtliche Sachen in den Gemeinschaftsraum, verabschiedete mich von Anouk und begann mich fertig zu machen. Auch Lukas war inzwischen aufgestanden und war gleichfalls bemüht eine zügige Marschbereitschaft herzustellen. Zwischenzeitlich kam der Spanier Jesus, vollständig in Montur, aus seinem Zimmer und verließ ebenfalls, von vielen spanischen Worten begleitet, mit einem freundlichen Abwinken unsere Unterkunft.

Lukas und ich schauten uns an und ohne große Worte, aber mit denselben Gedanken in den Köpfen und den gleichen Emotionen in unseren Herzen befanden wir uns um 7.30 Uhr auf der Etappe finale grande.

Ständig bedacht, keinen Schritt zu schnell zu gehen und jederzeit für einen Umweg bereit, saugten wir alle Bilder auf, die der Weg uns bot und atmeten erneut jenen Geruch, der sowohl in Portugal wie auch in Galizien in allen Wäldern so unverwechselbar und intensiv nach Pinien und Eukalyptus duftet, als ob es der letzte wäre, der unsere Lungen füllen würde. Mit jedem Markierungsstein schwanden die Kilometer und trotz der damit verbundenen Euphorie, wünschten wir uns doch immer wieder, dass doch der eine oder andere Kilometer hätte, ruhig dazu kommen können.

Und so wählten wir am Ortseingang von Santiago, bei einer Gabelung des Caminos, bewusst den längeren Weg, um, nicht nur einen weiteren Stempel in der Kirche de Conxo zu erhalten, sondern vielmehr jeden einzelnen Meter auskosten zu können.

Selbst, als ich, nach einem Stempel-bedingten Halt wenig später feststellte, dass ich meine Trinkflasche vergessen hatte, lief ich gerne fast einen Kilometer zurück, um diese zu holen, während Lukas auf mich wartete - nur um das Erreichen des Ziels so weit wie möglich herauszögern zu können.

Überraschenderweise liefen wir, trotz der kurzen, finalen Etappe, nochmals lange durch herrliche Wälder und es war, als ob der Camino sagen wollte:

Sieh her, auch, wenn es Deine letzten Meter nach Santiago seien mögen - ich bin Dein eigentliches Ziel!

Ein besonderes Erlebnis war für mich der Stand zweier spanischer Jungs, die für gerade 1,5 € einen Siegel-Stempel in den unterschiedlichsten Farben und Formen anboten. Ich gab ihnen sehr gern 2 € und entschied mich für die schwarz-goldene Variante, eine todschicke Veredelung meines Pilgerpasses.

Kurz vor dem eigentlichen Ziel, der Kathedrale in Santiago de Compostela, begann es wieder erwarten plötzlich zu regnen. Also noch einmal mit angelegten Regenponchos liefen wir die restlichen Meter in einem großen Bogen durch die alten, von Bars und Geschäften gesäumten Gassen, an deren Ende wir bereits die eindrucksvollen Türme der Kathedrale erkennen konnten.

Und dann standen wir, schneller als erwartet, inmitten des Regens, fast allein, auf dem Platz vor der riesigen, schier gewaltigen Kathedrale und rangen um Worte. Wir lagen uns in den Armen und es hätte nicht besser sein können. Hatte sich der Großteil der Pilger ob des Regens unter die Bögen des Polizeigebäudes gegenüber der Kathedrale geflüchtet, standen wir überglücklich und nass am Zielpunkt unserer Reise.

Der Camino war geschafft.

Nach einer kurzen Stärkung mit Bocadilos mit Jamón, grünen Oliven und einem guten Estella, ging es zum offiziellen Pilgerbüro, um unsere Compostela, also die Pilger-Urkunde abzuholen, die offiziell dokumentiert, dass man den Weg beschritten hat - sie wird einen würdigen Platz in meinem Zuhause erhalten.

Inzwischen hatte sich der Regen verzogen und die Sonne zeigte sich von ihrer besten Seite und strahlte über Santiago.

Von nun an überschlugen sich, zumindest gefühlt, die Ereignisse. Ich begegnete erneut so vielen Menschen, die ich auf dieser Reise kennengelernt hatte und ein Zauber der Freude lag in allen Gesichtern. Umarmungen, Glückwünsche, Tränen der Freude, Lachen und ein nicht zu beschreibender Ausdruck, den vermutlich nur der Camino hervorzubringen vermag. Da waren Rick aus Los Angeles, Petra aus Prag, Carlos mit Freundin aus Porto, Birgit aus Speyer, Elisabeth aus Milano, Laura aus Turin und selbst Anouk aus Würzburg trafen wir erneut wieder. Jedes dieser Gesichter, egal wie unterschiedlich und verschieden, vereinte doch ein unbeschreiblicher Glanz in deren Augen, eine ungeahnte Kraft in deren Lachen. Ich habe die Bilder angehangen, wer genau hinschaut, mag vielleicht erkennen, wovon ich spreche.

Danach klärten wir für Lukas die Unterkunft für die heutige Nacht. Wie fast nicht anders zu erwarten, waren alle Betten in den Hostels belegt, doch Lukas bekam noch einen Platz im Vorraum auf einem Sofa.

Während ich also gerade in meinem Doppelbett in einem echt luxuriösen Hotelzimmer liege (verglichen mit den Unterkünften der vergangenen 14 Tage), welches ich mir bereits vor 3 Tagen für diese zwei Nächte gebucht habe und diese Zeilen schreibe, schläft Lukas, ein wahrhaftiger Freund, den ich auf diesem Weg gefunden habe, bereits auf diesem, sicher unbequemen Sofa, um morgen früh mit dem Bus nach Porto aufzubrechen.

Am Abend besuchten wir nach einem längeren, gemeinsamen Stadtbummel mit Anouk (auf der Suche nach kleinen Aufmerksamkeiten für die daheim Gebliebenen), die sich anschließend von uns verabschiedete, die heilige Messe in der Kathedrale. Komplett auf Spanisch, verstand ich logischerweise kein einziges Wort, aber die kleine, fast unscheinbar wirkende Nonne, die, in dem gewaltigen und imposanten Kirchenbau mit einer beeindruckenden Akustik, begleitet, von der, für ihre riesige Größe sanft klingenden Orgel, immer wieder lobpreisende Gesänge anstimmte, welche anschließend von den Pilgern wiederholt wurden, hatte eine wunderschöne und beruhigende Stimme.

Im Anschluss erklärte uns Birgit, die plötzlich hinter uns saß (die Kirche war komplett voll und es war clever, sich bereits 45 Minuten vor Beginn einen Sitzplatz zu suchen), dass in diesem heiligen compostelanischen Jahr (welches nur dann auftritt, wenn der 25. Juli, der Geburtstag des Jakobus, auf einen Sonntag entfällt) das Grab des heiligen Jakobus für Pilger geöffnet wird und so zu besichtigen sei, was wir daraufhin taten.

Nach einem Abendessen mit Fisch, Fleisch und einem Vino de Porto hieß es dann Abschied nehmen, Lukas war für mich auf diesem Weg nicht nur ein wertvoller Gesprächspartner, ich habe seine Gesellschaft ohne jegliche Einschränkungen genossen und bin froh, die gemeinsame Zeit mit ihm verbracht zu haben, ein Geschenk des Caminos, einen Freund, den ich, so hoffe ich, eines Tages wieder sehen werde.

Streckendetails

Die letzte Etappe bestand, nach dem eigentlichen Plan nur aus 12 Kilometern, durch ausgiebige Erweiterungen und meiner Trinkflaschenrückholaktion wurden daraus dennoch 15,1 Kilometer. Nach sämtlichen, erlebnisreichen Gängen durch Santiago wurden daraus schlussendlich 24.2 Kilometer bei 24.400 Schritten.

Camino de Portuges, Teil 12 (Finale) | Wanderung | Komoot
Bent Schrader hat ein Outdoor-Abenteuer mit komoot gemacht! Distanz: 15,1 km | Dauer: 04:35 Std

Für mich ein erneut irres Ereignis war die Berechnung der Gesamtstrecke. Lukas hatte den Taschenrechner geöffnet und ich nannte ihm sämtliche, von meiner Uhr aufgezeichneten Etappen-Kilometer. Von dem Ergebnis von 300,4 Kilometern (was dem täglichen, durch Neugier oder Hunger hervorgerufenen, Verlassen der Route geschuldet war, um Bilder zu machen oder Nahrung aufzunehmen) war ich nur deshalb völlig platt, da mein Geburtstag eben am 30.04. ist und diese Zahl förmlich in mein Gesicht sprang.

Erkenntnisse des Tages

Ich habe im Vorfeld keine Erwartungen an den Camino gestellt. Ich bin ihn nicht gegangen, mit dem Ziel, am Ende ein bestimmtes Ergebnis für mich verzeichnen zu können, sondern vielmehr deshalb, weil der Wunsch und Gedanke daran bereits seit etwa 10 Jahren in mir reiften.

Dafür bin ich unerwartet reich beschenkt worden. Reich an Eindrücken. Reich an Erfahrungen. Reich an Emotionen. Reich an Menschen, die mich begeistert, beeindruckt, inspiriert und begleitet haben. Reicher an einem kleinen Stück inneren Friedens, der wie ein heilendes Pflaster auf den Narben meines Herzens einen Platz gefunden zu haben scheint.

Ultreia.