Camino de Portugues, Teil 8 nach Arcade
Was für ein Tag, was für ein Glück, welch ein schönes Leben. Ich denke, es ist spürbar, besonders, wenn man ein paar meiner unzähligen Bilder betrachtet hat (ich entschuldige mich nicht dafür, denn wer diese nicht anschauen mag, muss dies nicht tun), welchen Reiz, welchen Zauber, welches Glück und welche Freude die Landschaft, die Menschen und eben dieser Weg hervorzubringen vermögen. Ich bin bisher selten so innerlich glücklich, zufrieden und im Reinen mit mir selbst gewesen, wie an dem heutigen Tag - nachdem ich gestern den fast vollständigen Nachmittag und Abend mit Schlafen und so in meinem Herbergsbett verbrachte.

Doch es begann in der Herberge in O Porriño, in der ich eine wirklich gute und erholsame Nacht verbrachte. In selbiger war das Frühstück heute mit inbegriffen und so nahm ich mir einen Kaffee, einen Ananassaft, eine Birne, eine Orange, einen Naturjoghurt und Honig. So dachte ich, den der Honig entpuppte sich nach dem Entleeren als Olivenöl, so dass ich kurzerhand auf Erdbeermarmelade ausweichen musste.

Heute begann meine Etappe um kurz vor 8 Uhr und zu meiner Überraschung und großen Freude, stellte sich die Wettervorhersage erneut als falsch heraus und ein paar blaue Stellen am Himmel ließen einen sonnigen Weg verheißen. Und so lief ich, von einem inneren, von Sorgen und Ängsten begleiteten Gedankenstrudel in den Tag. Ich musste mich plötzlich an den Psychologen aus der deutschen Serie Achtsam Morden erinnern (eine Serie, die genau meinen Humor trifft und ich nur jedem wärmstens empfehlen kann), welcher seinem Clienten in einer nicht-belehrenden Art und Weise, mit dem Blick für Achtsamkeit durch gezieltes Atmen, bewusster Konzentration und dem Spüren mit allen Sinnen, zu einem neuen Leben verhilft.
Also begann ich zu atmen. Konzentriert, ruhig und fing an loszulassen. Ich ließ die immer mal kommenden Schmerzen und damit verbundenen Gedanken zu, doch ich atmete immer wieder tief, bewusst und für mich. Und es veränderte sich etwas. Mit jedem Atemzug ging es ganz langsam besser. Von da an geschahen erneut Ereignisse - und diese passieren mir bereits seit einigen Tagen, ohne das ich über jedes einzelne Erlebnis hier berichte - die meinen Zweifel an dem bloßen Auftreten kurioser Zufälle erneut verstärkten.
Heute Morgen passierte oder besser überholte ich viele Pilger, die oft in kleinen Gruppen und etwas langsamer unterwegs waren als ich. Als ich drei Damen mittleren bis älteren Semesters begegnete und freundlich mit "Buean dias, buen camino" an Ihnen vorbei schritt, holte eine der Frauen mich wenig später mit schnellen Schritten ein und überreichte mir, begeleitet von vielen spanischen Worten einen kleinen Zettel, ein Jesus-Bild und auf der Rückseite jeder Menge spanischem Text. Ich erklärte ihr, dass ich kein Spanisch spreche, doch sie sagte nur: "Just take it und keep it on your way." Mein erster Gedanke war: Alles klar, die spanische Variante der Zeugen Jehovas - doch ich nahm das Bild und steckte es in meine Brusttasche.
Wenig später stieg die Sonne hinter dem Bergkamm empor, der sich in einiger Entfernung zu meiner Rechten befand. Ein wunderschöner Augenblick und kurz darauf vernahm ich den ersten Glockenschlag aus der Ferne, es war 9 Uhr. Doch die Kirche in Mos, der ich mich auf dem Camino näherte, schlug immerfort, ein jedes Mal erneut, aber erst, nachdem der vorherige Schlag vollständig verklungen war. Als ich vor der Kirche stand, erinnerte ich mich an die Klangschalenreise im Fastenhaus, so in etwa, nur gewaltiger durchdrang mich jeder Schlag, von drei oder vier unterschiedlichen Glocken gespielt.
Danach wurde es anstrengender, den heute waren insgesamt 1.000 Höhenmeter zu bewältigen, 540 hinauf und 580 hinab, sagt meine Auswertung. Die Strecke, die bis dahin nur auf Dorfstraßen verlief, führte nun durch die ersten Wälder des heutigen Tages. In diesem Moment erreichte mich von einem lieben Menschen die folgende Nachricht:
Der Kampf mit der Endgültigkeit
Deine größte Prüfung war nie das Loslassen allein - es war die Endgültigkeit, die mit jedem Abschied kam.
Du hast gekämpft, um festzuhalten, weil jeder Verlust wie ein Teil von dir selbst wirkte. Aber genau dieser Schmerz hat dich tiefer geführt, als Sicherheit es je gekonnt hätte.
Du hast gelernt, dass nichts bleibt, wie es ist - und das darin nicht nur Gefahr, sondern auch Wahrheit liegt. Dein Kampf hat dich gezwungen, Stabilität nicht im Außen zu suchen, sondern in deinem eigenen Inneren.
Heute stehst du hier, weil du weißt: Du kannst verlieren und trotzdem bleiben.
Diese Worte haben mich tief berührt und kurzzeitig musste ich warten, bis ich wieder aus meinen Augen klar sehen konnte.
Und ich lief weiter, hinab in das im Tal liegende Rendonela. Ich begegnete Carlos und seiner Freundin (an deren Namen ich mich leider nicht mehr erinnere) aus Porto, wir hatten eine wundervolle und warmherzige Unterhaltung und ich kam nicht umhin, beiden zu sagen, wie sehr ich ihre Landsleute schätze und lieben gelernt habe. Carlos erzähte mir überdies, dass es eine Tradition der jungen Männer Portos sei, von der unteren Brücke des Ponte de Luiz zu springen, ich hatte das bereits an meinem abendlichen Rundgang durch die Stadt beobachten können. (Während ich gerade schreibe, geht draußen die Welt unter, es schüttet aus Kannen.) Carlos berichtete, das die Touristen normalerweise Geldmünzen ins Wasser werfen, welches die Porto-Jungs dann im Sprung fangen, es sei aber gut möglich, das sie heute einfach vorher mit einer Kappe herumgehen.
Ich verabschiedete mich von den Beiden und lief zielstrebig auf Rendondela zu. Gerade im Telefonat mit meinem Sohn, winkte und rief mir Lukas aus dem ersten Cafe der Innenstadt zu, den ich erst am Vortag bei meinem Einkauf in O Porriño wieder getroffen hatte und wir uns - nach dem Austausch unserer Telefonnummern - auf ein Abendessen in Arcade verabreden wollten. Ich gesellte mich zu ihm, bestellte einen Americano und einen sündhaften Kuchen mit Karamelüberzug, als es anfing wie aus Kübeln zu gießen. Wir freuten uns, genau hier unter dem Schutz der Schirme keinen besseren Zeitpunkt hätten finden können.
Von Rendondela lief ich heute mit Lukas zusammen die letzten 7 Kilometer bis nach Arcade. Er ist ein ruhiger aber offener, sehr anständiger und interessierter junger Mann, dessen Anwesenheit ich sehr schätze. Er hat in seinen 27 Jahren schon weit mehr weiter entfernte Länder berreist, als ich das getan habe, seine Geschichten, die er niemals aufdrängt, sind nie langweilig und regen mich stets zu eigenen Reiseplänen und Ideen an.




In Arcade angekommen, habe ich mir in einem wirklich kleinen, aber mit Liebe eingerichteten und von einer herzlichen älteren Frau, mit einem umwerfenden Lachen, geführten Kleinigkeiten-Laden einen Stempel (ein riesiger, den bereits ihr Großvater verwendet habe) geben lassen und einen kleinen, handgemachten Umhänger an einem schwarzen Band gekauft - einen Talisman, eine Erinnerung, ein liebevolles Kleinod, was mich an diesen, meinen Weg erinnern soll und nun um meinen Hals hängt. Ich mag ihn.

Nach meiner Ankunft in der heutigen Herberge, bin ich komplett überwältigt, wie sauber, ordentlich und modern eine Albergue sein kann - wären es keine Doppelstockbetten im 4-Mann-Bereich, könnte man von einem Hotel berichten. Ich liege heute zum ersten Mal oben.
Streckendetails
Wie ich bereits geschrieben habe, sollten die etwa 1.000 Höhenmeter der heutigen Etappe nicht vergessen werden, der Weg aber von Rendondela nach Arcade entschädigte für alle Anstrengungen. Ein traumhafter Weg durch so angenehm duftende Wälder, begleitet von jeder Menge nicht vorhergesagtem Sonnenschein und unzähligen Eindrücken am Wegesrand. Meine Uhr dokumentiert aktuell 35.400 Schritte bei 27,6 Kilometern.
Erkenntnisse des Tages
Ich bin kein spiritueller Mensch und fühle mich weder erleuchtet noch in irgendeiner Form zu was auch immer bekehrt. Aber es gibt eben Dinge auf der Welt, die ich mir vielleicht weder wissenschaftlich herleiten noch von jemanden vorschreiben lassen muss, denn sie lieber mit einem inneren Gefühl der Gelassenheit und Dankbarkeit zu akzeptieren und sich dabei mehr auf den Genuss derselben als den Verstand zu konzentrieren.
Da wir uns sofort einig waren, habe ich mit Lukas beschlossen, dass wir die letzten Tage, bis Santiago de Compostela gemeinsam gehen werden. Wenn auch nicht immer den ganzen Tag nebeneinander, so zumindest dieselbe Etappe, mit dem Ziel zu zweit in Santiago anzukommen. Ich habe mir Johns Worte zu Herzen genommen.
Ein Pilger-Menü ist eine sensationelle Sache, die meisten Restaurants am Camino bieten dieses an, oft besteht es aus mehreren Gängen und ist wirklich preiswert. Das kann ich heute bei meiner Ankunft in der Pilgerherberge bestätigen und muss gestehen, ich habe für wesentlich mehr Entgelt, sehr viel schlechter gegessen. Es war nahezu himmlisch.



