Camino de Portugues, Teil 7 nach O Porriño
Es ist 11:45 Uhr und ich sitze freundlicherweise im Aufenthaltsraum meiner heutigen Herberge in O Porriño, die - wie eigentlich alle Herbergen - erst ab 13 Uhr den Check-In startet. Also, warum bin ich schon hier?
Es war für mich die Nacht der Prüfungen, ich möchte sie auch gern als die Nacht der spanischen Qual-Altvorderen bezeichnen. In dem Zimmer der letzten Herberge standen zwei Doppelstockbetten - in einem davon lag ich unten - und ein Einzelbett. Über mir nächtigte Lukas, hinter mir im Einzelbett ein älterer Spanier, neben uns im anderen Doppelstockbett eine ältere Spanierin und darüber (sehr vermutlich) ihr Sohn. Als gegen 22.45 Uhr das Licht gelöscht wurde, laß ich noch ein paar Vorbereitungen auf meinem Telefon und wenig später ging es los - ein Schnarrch-Konzert, wie ich es in meinem Leben bisher noch nie zuvor erlebt habe. Ich habe die vergangenen Nächte mit meinen Ohrstöpseln ohne jedes Problem tadellos überstanden, aber diese Nacht war eine schiere Höllenqual, die in mir zwar keine Mordgelüste, aber immerhin Gewaltfantasien erweckte. Die spanische Oma lag etwa 1,5 Meter neben mir entfernt, wie eine aufgebahrte Tote - kerzengerade, beide Hände auf der Brust, den Kopf nach vorn geneigt. Hinter mir der spanische Opa, war nur ca. 1 Meter entfernt und stimmte nur wenig später in das Konzert der Oma ein. Selbst meine Samsung In-Ear Kopfhörer, die über eine aktive Geräuschunterdrückung verfügen (welche bisher immer gut funktioniert) hat, versagten hier jämmerlich. Bis etwa 2 Uhr kam noch die Geräuschkulisse von den Menschen der Strasse dazu, die störte mich aber im Vergleich nicht die Spur. Selbst als der Sohn der spanischen - sehr sicher - Landes-Schnarrch-Meisterin sein Kopfkissen nahm, sich von oben herunterbeugte und es unsaft in ihr Gesicht beförderte, hörte ihr Konzert für nicht mehr als magere zehn Sekunden auf. Auch er gab entnervt auf und entnahm darauf seinem Rucksack ein paar riesige Kopfhörer, die über die Ohren passten - natürlich war er vorbereitet.
Also entschied ich mich bei ordentlicher Lautstärke für meinen Podcast Stay forever, bei dem zwei alte Männer über alte Computer-Spiele philosophieren. Das Einzige, was, meiner Vermutung nach, half, war eben Ablenkung und so hörte ich - mit Unterbrechungen, da ich offentsichtlich doch mal eingeschlafen sein musste - die vollen 4 Stunden über Monkey Island 2.
Um 6 Uhr hatte ich genug und erledigte die Morgentoilette und zog mich an. Normalerweise nehme ich immer Rücksicht und verhalte mich sehr leise - doch beide schnarrchenden Foltergesellen schliefen weiterhin tief und fest, als ich meine Sachen packte. Ich verabschiedete mich von Lukas, der kurz nach mir aufgestanden war und starte um 6:40 Uhr in den Tag.

In Portugal hängt die Uhrzeit zonenbedingt eine Stunde hinterher, dass machte die gesamte Orientierung in und vor allen Dingen nach Tui recht anspruchsvoll, da es noch stockfinster war. Und so traf ich auf Hinou (ich weiß nicht, ob ich das richtig schreibe, noch korrekt verstanden habe), eine Polizistin aus Süd-Korea, welche, etwas verunsichert, ohne meine Begleitung und den so durch meine Stirnlampe ausgeleuchteten Weg, nicht alleine gehen wollte. Da ihr Englisch weniger gut war, war die Kommunikation leider sehr schleppend und schwierig, ich hätte gern mehr über sie und Süd-Korea erfahren. Noch vor dem Sonnenaufgang fing es an zu regnen und die Funktion meines Ponchos kam zu nächsten Prüfung - aber ich bin anstandslos zufrieden, selbst das Schwitzen darunter hält sich in Grenzen.
Mitten in einem Wald, kurz nach einer traumhaft schönen Flussquerung, mit altem steineren Kreuz und einer uralten Felsbrücke, vernahmen wir plötzlich das Geräusch eines spielenden Dudelsacks. Völlig verdutzt liefen wir der Quelle entgegen, als plötzlich ein Auto mit einem jungen Spanier auf der Motorhaube herangerast kam, um dann abruppt zu bremsen, so dass die Fliehkraft ihn fast vom Auto geschleudert hätte. Dieser offensichtlich "loco" (wie man im auf Spanisch sagt) Mann entschuldigte sich darauf anständig, wünschte einen "Good way" und verschwand samt Auto wieder im Wald.


Danach trafen wir auf den Dudelsackspieler, der mitten im Wald im Nirgendwo, eine Kiste aufgebaut hatte, auf der ein Stempel lag (den wir dankbar in unseren Pass stempelten) und immer, wenn ein Pilgerer kam, drauflos spielte.

Endlich nach etwas mehr als 7 Kilometern erreichten wir ein tolles Cafe und ich kam so zu meinem wohl verdienten Frühstück, bestehend aus Americano und zwei Stück leckeren Rührkuchen (1 x Vanille, 1 x Schoko), von denen der Schoko-Kuchen innen noch herrlich "schliffig" war, wie wir Sachsen sagen. Ein Gedicht, muss ich sagen.

Ich erklärte danach Hinou, dass ich von hier gern allein weiter gehen würde, was sie anstandslos, von einer leichten Verbeugung begleitet, akzeptierte und sich so unsere Wege wieder trennten.
Danach begann der wirklich schöne und wildromantische Teil der heutigen Strecke. Es ging durch grüne Wälder, über scheinbar aus der Römerzeit erbaute Stein- oder besser Felsblock-Brücken und immerzu duftete es - besonders nach dem Regen - nach frischen Pinien-Nadeln. So konnte ich meinen Gedanken wieder freien Lauf lassen und genoß diesen Abschnitt über alle Maßen. Kurioserweise stoppte der Regen, nach meinem Frühstück und kurze Zeit später, als ich über die wetterverändernden Überraschungsmomente meiner mir sehr ans Herz gewachsenen Alpen-Wanderfreunde (seit der ersten gemeinsamen Tour auch mit dem Titel Schnappsfreunde belegt) sinnierte, die Sonne hinter den Wolken hervor blinzelte, als wolle sie mir mit ihren Strahlen sagen: Geh weiter, Du machst das schon.



Heute sah ich zum zweiten Mal ein Kind auf dem Jakobsweg. Bereits vor 2 Tagen lief eine Frau, ebenfalls aus Süd-Korea, mit ihrer 4-jährigen (!) Tochter jeden Tag eine Strecke von etwa 10 Kilometern (!). Wahnsinn, wenn ich da an meine Kinder denke. Heute sah ich ein offenbar spanisches Mädchen, welches wohl mit seinen Eltern mit wanderte und schätzungsweise das Alter meiner jüngsten Tochter hatte. Überhaupt laufen viele Spanier den Camino von Tui, vermutlich, weil ab hier die begehrte Urkunde in Santiago als Auszeichnung winkt.
Streckendetails
Meine Uhr vermeldet heute 18,9 Kilometer bei 24.100 Schritten. Ich bin definitiv über das Bergfest der gesamten Strecke hinweg.
Der spanische Camino ist um Längen besser und wesentlich häufiger markiert, als noch in Portugal. Bereits dort war die Beschilderung aus meiner Sicht völlig ausreichend und gut, aber in Spanien ist Verlaufen praktisch unmöglich. An jedem markanten Punkt steht eine Art kleiner Monolith, mit der Muschel, dem gelben Pfeil und der genauen Kilometerangabe bis Santiago.
Erkenntnisse des Tages
Nach meinem ersten Tag auf dem spanischen Jakobsweg muss ich feststellen, dass die Portugiesen, rein aus meiner eigenen Sicht, freundlicher und aufgeschlossener wirken. Ich meine das weder abwertend, noch möchte ich diese Feststellung meinerseits als allgemeingültige Aussage verstanden wissen, aber die Begegnungen in Portugal empfand ich allesamt als herzlicher. Hinzu kommt, dass hier in Spanien - fast vergleichbar mit Deutschland - der Euro wichtiger als eine herzliche Geste ist. Egal ob der Dudelsackspieler mit seinem Teller voller Münzgeld oder in den Bars oder Cafes, in dem ich gebeten wurde, mir den Stempel "um die Ecke" selbst zu nehmen und zu benutzen. Und auch daneben stand eine Schale mit Kleingeld. Genau das habe ich in Portugal so nicht erlebt.
Ich bin innerlich sehr froh und nach wie vor überaus dankbar, dass ich mich auf meinen Körper weiter verlassen kann. Seit Porto habe ich nicht eine Blase an meinen Füßen, was ich sicher auch den eingelaufenen Schuhen, den sehr guten Wandersocken und meiner täglichen Dosis Hirschtalg zu verdanken habe, mit Letzterem creme ich meine Füße jeden Morgen dick ein.
Auch wenn sich mein Rücken nicht so anfühlt, wie ich es mir wünschen würde, so bin ich froh, dass ich mit der richtigen Portion Willenskraft gut vorankomme - ich will weder jammern, noch beschwere ich mich.
