Camino de Portugues, Teil 6 nach Tui, Galizien in Spanien
Viva España, hieß es heute für mich, nach dem ich die Grenze von Portugal nach Spanien überschreiten durfte. Doch von Anfang an.
Mein Tag startete in der wirklich entspannten Herberge, in der ich wunderbar geschlafen habe, gegen 6.45 Uhr. Nach der morgendlichen Rundum-Versorgung meines geschundenen Körpers, was im Wesentlichen aus Zähneputzen, Haare-Kämmen inkl. Zopf-Bau (das ich so etwas mal schreibe, hätte ich mir noch vor einem Jahr nicht träumen lassen) und Rasieren besteht, ging es nach einem kurzen Gruppenfoto - auf das Brigitt aus Nord-Irland bestand, die nach meiner Aussage über einen "Magic Donkey" verfügt, da sie ihr Gepäck von Herberge zu Herberge transportieren lässt) - um 7.20 Uhr los und ich startete in meinen sechsten Tag.
Obwohl seit heute für jeden Tag Regen vorhergesagt war, lief ich bis zum Verlassen von Vila Nove de Cerveia unter blauem Himmel. In der Stadt selbst beeindruckten mich die vielen gestrickten oder besser um-strickten Motive, Figuren und Elemente, einfach wunderschön anzuschauen, da man nur vermuten kann, mit wieviel Herzblut und Liebe diese Dinge von den Einheimischen hergestellt wurden.


Danach verlief der Weg über eine weite Strecke durch teilweise Wald und Wiese, Dorfstraßen und an einem Industriegebiet vorbei. Die Stämme der Bäume sehen dabei meist so aus, als würden sie sich schälen. Überall in den Dörfern war der viele Wein auffällig, uralte Rebstöcke, die meist eher als Grundstücksbegrenzung, denn zum Zwecke des Anbaus dienen. Manche Rebe hing so gut über den Weg, das ich die eine oder andere leckere Traube genussvoll verschlang. Mein erstes Frühstück hatte ich nämlich erst gegen 10 Uhr nach fast 11 Kilometern, vorher lag heute einfach keines auf meinem Weg.


Mit dem Erreichen von Valença änderte sich der Tag hin zu einem wirklichen Erlebnis. Es begann mit dem Erklimmen der riesigen und prächtigen Festungsanlage, innerhalb derer sich die Altstadt befindet, durch die der Caminho führt. In der Tourismus-Zentrale holte ich mir einen Stempel - der im Vergleich zu allen bisherigen doppelt so viel Platz einnimmt und mich mächtig beeindruckt und mit Stolz erfüllt hat. Hier oben traf ich auch Anna und Mai aus Deutschland wieder, die mit mir im letzten Herbergszimmer übernachtet hatten.

In Valença sprach ich kurz mit Pavel aus Prag, der es sich zum Ziel gemacht hat, von Lissabon nach Santiago in 16 Tagen zu laufen - pro Tag 45 Kilometer. Ich sagte ihm, dass ich das mit 19 Jahren vermutlich auch noch geschafft hätte, aber mit fast 50 das nicht mehr in meinem Spielraum liegt, ich ließ ihn ziehen und setzte mich in ein Cafe, um meine letzten, heiß-geliebten Pastel de Nata mit einem Americano förmlich in mich aufzusaugen. Eine Erinnerung, die ich ganz sicher nicht vergessen werde.

Danach hieß es Abschied nehmen von Portugal, einem Land voller Gastfreundschaft und lieben, wenn auch teilweise verrückten Menschen, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben bereisen durfte. Auf einer so natürlichen Art und Weise, wie man ein Land nur kennenlernen kann. Obrigado, Portugal foi encantador!

Über die Ponte Internacional ging es in das Land meines Pilgerziels, nach Spanien. Ein magischer Moment, über eine Brücke, den Fluss Miñho zu überqueren und in einem anderen Land anzukommen. Aus Obrigado wird nur Gracias, aus Caminho wird der Camino. Und so kam ich in Tui an, einer reizvollen alten Stadt mit einer massiven, steinernen Kathedrale über ihren Dächern thronend, die mich sofort in ihren Bann zog.


Meine Herberge liegt mitten in der Stadt, nur wenige Meter vom Camino entfernt - was mir aber wichtiger erscheint, ebenso wenige Meter von den Tapas-Bars und Restaurants, die ich nachher mit Lukas aus Dortmund, der über mir im Bett nächtigt, besuchen werde, die aber nach ihrer Siesta erst gegen 20 Uhr wieder aufschließen.
Streckendetails
Obwohl heute nur etwa 19 Kilometer auf dem Plan standen, sind es nach einem Stadtbummel (inkl. einem Estella) doch 25,2 Kilometer bei 31.700 Schritten geworden. Aber es geht mir gut und das macht mich innerlich sehr glücklich. Auch wenn mein Rücken mir keine vollständige Entspannung gönnt, so stören mich aktuell nicht einmal die vorhergesagten 5 Regentage - ich habe meinen Poncho dabei, alles andere wird sich fügen. Es ist mein Weg, es sind meine Prüfungen.
Erkenntnisse des Tages
Die Portugiesen sprechen - zumindest nach meinen ersten Erfahrungen hier in Tui - wesentlich besser Englisch als die Spanier. Egal welchen Alters meines Gegenübers, ich habe mich in Portugal immer auf Englisch perfekt zurechtgefunden bzw. verständigen können, ich habe das sehr geschätzt. Dennoch versuche ich immer - natürlich mit Hilfe der Übersetzungs-App meines Telefons - mich in Landessprache zu artikulieren - man spürt in der Tat, wie aufgeschlossen die Menschen darauf reagieren, wenn man seinen Willen dadurch bekundet.
Ich war heute von meiner Ablenkung oder besser meines eigenen "Loslassens" überrascht, denn hörte ich heute morgen auf den ersten Kilometern noch in meinen Körper hinein und achtete auf jeden kleinen Schmerz, der sich in meinen Gliedmaßen bemerkbar machte, so verließen mich diese sorgenvollen Gedanken, desto weiter ich lief. Ein zutiefst befriedigendes Gefühl, welches mir neue Kraft und Zuversicht verschaffte, das Ziel meiner Reise aus eigener Kraft und eigenem Willen zu erreichen.
Ich beginne, Englisch zu denken. Auf einem solchen Weg denkt man über die unmöglichsten Dinge, Geschichten und Ereignisse nach. Da man aber die überwiegend meiste Zeit mit den anderen Menschen auf Englisch kommuniziert, hat sich das bereits so eingeschlichen, dass ich mich dabei ertappte, wie ich eben in dieser Sprache vor mich hin philosophierte. Der Bent halt.
