Camino de Portugues, Teil 3 nach Viana do Castelo
Es ist jetzt 20:43 Uhr und ich liege in der Albergue de Santa Luiza und es geht mir fabelhaft. Ich liege hier in einem 4 Bett-Zimmer, vor mir eine riesige Glasfront, mit geöffneter Tür zum Balkon und Blick auf Viana de Castelo.
Die heutige Etappe, Tour oder Wanderung, also mein Weg, war traumhaft schön. Mit dem Start am Atlantik in Apúlia begann der Tag in einer wirklich mystischen Stimmung. Die ersten Kilometer nach Fáo waren wenig spektakulär und liefen sich so dahin, dort über eine Brücke mit dem Gefühl ins Nichts zu gehen, da das Ende im Nebel verschwand, war aber eher befreiend denn beängstigend. In Esposende kämpfte sich dann schlagartig die Sonne ihren Weg durch den Nebel und war von diesem Zeitpunkt ständiger Begleiter. Der Ozean war selbst aus reichlicher Entfernung immer zu hören und wenn er aus höheren Lagen in Sichtweite kam, waren die Wellen von einem deutlich anderen Kaliber. In Esposende nahm ich mein morgentliches Ritual sehr ernst, ein Americano und die zugehörigen zwei Pastel de Nata sind zu einer Art Pflichtprogramm geworden. Es ist ein Gefühl, als würde sich zu den wärmenden Strahlen der Sonne eine wohlige innere Zufriedenheit gesellen.









Bis Outeiro ging es dann am halben Hang immerzu auf kleinem Kopfsteinpflaster entlang, das läuft sich nicht überragend schön, aber es gibt wesentlich schlimmere Wege. Die Strecke war heute von unglaublich vielen Kirchen gesäumt, in Erinnerung blieb mir genau die in Outeiro, in der ein kleiner alter Mann den Stempel in meinen Pilgerpass setzte (unter ständigem, freundlichem, portugiesischem Gemurmel) und mir den Auftrag gab die Prägemaschine zu betätigen. Mein erster Stempel, der erhaben ist.
Ich kann mir vorstellen, dass - wer nicht selbst einen solchen besitzt - niemand einen Bezug zu diesem gefalteten Stück Papier herstellen kann - für mich ist er zu einer Art kleinem Heiligtum geworden, den ich wie meinen Augapfel hüte. Es erfüllt mich mit Stolz und Freude, meinen hinter mir liegenden Weg in Form dieser kleinen Stempeldrucke in Gedanken noch einmal zu erleben. Es zeigt doch wieder genau das, was unser Leben letztendlich ausmacht, auf einem relativ kleinen Karton: Erinnerungen.
In allen anderen Kirchen kann man sich die Stempel einfach selbst in seinen Pass stempeln, völlig in Ordnung für mich.
Der Weg ab Antas war dann einfach nur mein Weg. Wälder mit Felsen und einem schmalen, wurzeligem Weg - fast wie in meiner geliebten sächsischen Schweiz. Wildromantisch und pur, bergauf und bergab, immer mit einem gemischten Geruch aus Pinien und Eukalyptus, zumindest habe ich das so empfunden.









Streckendetails
Meine Uhr zeigt aktuell 54.200 Schritte bei insgesamt 41,7 Kilometern - das kommt mit den Strecken vor und nach dem heutigen Camino von 37 Kilometern durchaus hin. Dazu stellte ich heute Abend zu meiner Überraschung fest, dass in Summe doch 1000 Höhenmeter von mir bewältigt wurden, nichts wirklich Dramatisches, aber in Kombination mit der Distanz dann doch nicht so übel. Und so fühle ich mich auch, angenehm fertig.
Erkenntnisse des Tages
Mit fiel heute auf, dass ich ja eigentlich völlig allein auf diesem Weg unterwegs bin, aber ich habe mich bisher noch nicht eine Sekunde einsam gefühlt. Es ist unglaublich, welche Gedanken im Vorfeld im Kopf entstehen und wie frei dieser dann auf dem eigentlichen Weg tatsächlich wird. Es mag verrückt klingen, aber es ist so, als ob eine innere Stimme zu mir spricht und meint:
Es ist gut so, wie es ist.
Ich bin dankbar. Dankbar in erster Linie dafür, dass mein Körper so durchhält und mich einfach nicht im Stich lässt, keine Blasen, keine Blessuren, keine sonstigen Beanstandungen. (Auch mein Knie meldet sich zwar regelmäßig, aber nicht bedenklich stärker.)
Dankbar, diesen Weg gehen zu dürfen und zu können - nicht jeder Mensch auf dieser Welt hat die Möglichkeit dazu. Dankbar, dass die Welt und das Leben an einigen Orten noch so sind, wie sie bzw. es sein sollte.
Mit jedem Tag wird mir in so vielen Momenten an so vielen unterschiedlichen Orten eines bewusst, was uns - speziell in unserem Alltag in Deutschland aus meiner Sicht völlig abhandengekommen ist - nämlich Vertrauen, Respekt und Rücksicht. Bestes Beispiel dafür war heute ein Stand, der aus unserem Blickwinkel eher an eine Kommune erinnerte, direkt im Wald nach Antas. Alle Dinge, die dort für jedermann auslagen, frische Melonen, Obst, Gebäck, gekühlte Getränke inkl. Bier und frischem Kaffee - für alles gab es eine Kasse des Vertrauens. Dabei war nichts davon unappetitlich, ganz im Gegenteil, verderbliche Dinge waren extra in Folie verpackt. Ich hatte mir einen Apfel genommen, 20 Cent in die Box geworfen und wollte gerade weitergehen, da kam Albinio um die Ecke, so hieß der ältere portugiesische Mann und schaute überhaupt nicht, nachdem was ich mir genommen hatte, geschweige denn ob ich dafür bezahlt habe - er fragte mich mit einer einfachen und offenen Freundlichkeit, wie es mir ginge, ob ich einen Stempel wolle und ob er mir etwas anbieten könne. Wir hatten einen kurzen, aber tollen Plausch und ich empfand danach erneut ein tiefes Gefühl aus Ehrfurcht, Dankbarkeit und Glückseligkeit.




Ich bin überdies dankbar, dass ich mit meinem Englisch nahezu überall mit Einheimischen wie auch Pilgern sprechen kann. Heute waren das Richard und Ben (Vater mit 55 und Sohn mit 22 Jahren aus Sheffield), Liv und Lucas aus Amsterdam, Uhho aus Japan und eben Albinio aus Portugal. Mit jedem einzelnen hatte ich völlig unterschiedliche Gespräche, aber keines davon empfand ich als verschwendete Zeit.