Camino de Portugues, Teil 10 nach O Pino (Valga)
Es ist 15.15 Uhr, während ich, frisch geduscht, in meinem bezogenen Bett in der heutigen Herberge in O Pino (Valga) liege und diese Zeilen schreibe. Was für ein Tag.
Die gestrige Herberge in A Portela, die mit einer schwer wieder zu findenden Leidenschaft von Bruno geführt wird, wird vermutlich bei allen Pilgern, die an dieser Stelle ihre Nacht verbrachten, auf ewig in Erinnerung bleiben. Ein Mensch, dem sämtliche, besonders von uns Deutschen geliebten Statussymbole und Wertvorstellungen abhandengekommen sind und der, zumindest aus meiner Sicht, nur um das Wohl seiner Gäste bemüht ist, um mit den einfachsten Mitteln jenen einen Buen Camino zu ermöglichen.

Und so auch am heutigen Morgen, die meisten von uns Pilgern fanden sich in der Küche ein (wobei es draußen noch düster bis finster war) und genossen, bei interessanten Gesprächen, den frischen Kaffee, Orangen, Maracujas (es waren meine ersten), Joghurt und Brot. Auf jedem Weg durch die Herberge versuchte ich so viele Sprüche, die an allen Wänden und Türen standen, aufzusaugen, wie nur mir möglich, allein wenn ich gewollt hätte, ich würde jetzt noch dort stehen und gefesselt lesen. Wünsche, Ratschläge, Weisheiten und sicher auch unnütze Dinge standen da von Menschen aus aller Herren Länder in so vielen unterschiedlichen Sprachen, alles konzentriert auf wenige Quadratmeter. Bruno gab Lukas auf seine vorsichtige Frage hin einen Wanderstock, den vermutlich irgendein Pilger vor uns hier vergessen hatte, ohne auch nur irgendetwas dafür zu verlangen. Lukas quälen seit gut drei Tagen heftige Schmerzen im rechten Sprunggelenk, seit er es den Tag zuvor mit 55 Kilometern doch übertrieben hat.
Wir verließen Brunos Herberge gegen 8 Uhr, nicht ohne uns herzlich für seine Gastfreundschaft zu bedanken und starteten mit übergeworfenem Poncho in den heutigen Regentag. Erneut liefen wir wunderschöne Wege, wobei Lukas mehr humpelte, bis wir nach 5 Kilometern ein liebevolles, kleines Cafe einer spanischen Oma aufsuchten, welche dieses in der Garage des Hauses eingerichtet hat. Dort trafen wir erneut auf Esmeralda aus Brasilien, die mit uns bei Bruno übernachtet hatte. Bei einem Americano und einem verboten gutem Stück Kuchen de Santiago (der aus Ei, Nüssen und offensichtlich viel Zucker hergestellt wird) sprachen wir über die Heimat, Familien und unsere Wege. Wir gingen danach ein gutes Stück zu dritt, bis Lukas immer langsamer wurde und sich Esmeralda absetzte.


An dieser Stelle musste ich heute für mich eine schwere Entscheidung treffen. Ich spürte heute, dass ich gerne wieder für mich allein laufen wollte, brachte es aber nicht über das Herz, Lukas mit seinem Schicksal allein zu lassen, wohlwissend, dass ich keinerlei Verantwortung für ihn trage. Und so war ich froh, dass Lukas, als ich mit ihm darüber sprach, zu mir meinte: "Ich bin Dir dankbar, aber es ist genauso dein Camino, geh und genieße ihn."
Ich war beruhigt und froh zugleich und versprach ihm, mich bei Ankunft in der Herberge, um ein Bett für ihn zu kümmern - und das habe ich getan, sein Bett habe ich bereits bezahlt, er ist auf dem Weg hierher - WhatsApp sei Dank, kann man sich immer zeitnah verständigen.
Danach genoss ich erneut meinen Weg, der dem gestrigen an Schönheit und Vollkommenheit in Nichts nachstand. Ich dachte dabei an viele mir sehr nahestehende, genau wie an mein Herz gewachsene Menschen in der Heimat und stellte mir vor, wo sie gerade seien und was sie gerade täten. Egal ob im warmen und trockenen Büro, am Schreibtisch, in der Schule oder gar noch im Bett, ob bei der Arbeit oder bei einer Aktivität in der freien Zeit, am Ende stand für mich fest, dass obwohl ich in einem triefend nassen Poncho, unter regengrauen Wolken allein durch Galizien vor mich hinlief, ich hätte mit keinem von ihnen tauschen wollen.
Ich dachte so bei mir, dass man diesen Moment nicht anders als als wahrhaftiges Glücklichsein bezeichnen könnte und ich musste erneut an den Spruch in der Herberge denken, bei dem es mir kalt über den Rücken schauerte:

So lief ich weiter durch Calais de Reis, ein hübsches, altes und kleines Städtchen, in dessen beeindruckender Kirche ich mir einen weiteren Stempel holte.

Danach ging es erneut über einen traumhaften Abschnitt nach O Cruceiro, nicht ohne am Wegesrand wild wachsende Minze zu pflücken und leicht zusammen gedrückt in meine Trinkflasche zu befördern. Was für ein Hochgenuss.




In O Cruceiro hatte ich für magere 14 Euro ein umso leckeres Pilger-Menü, bestehend aus frittiertem Fisch, Rindfleischfilet mit Pommes, einem weiteren Stück Cake de Santiago, begleitet von einem großen Estella. Es ist unnötig zu berichten, dass auch dieses Mahl frei von jeglicher Kritik blieb.



Streckendetails
Nach weiteren 4 Kilometern erreichte ich die heutige öffentliche Herberge nach einer Gesamtstrecke von 23,4 Kilometern und insgesamt 500 Höhenmetern. Meine Uhr berichtet von aktuellen 30.500 Schritten, sicher kommt bei einem Abendessen noch etwas dazu.
Erkenntnisse des Tages
Die Spanier haben, zumindest hier in Galizien, völlig andere Friedhöfe als die Portugiesen. Ich habe ein Foto zum Vergleich angehangen, für meinen Geschmack, sehen mir die Gräber weniger schön und schon gar nicht einzigartig, sondern eher wie Schließfächer aus, aber das soll keinesfalls heißen, dass die spanischen Menschen ihre Verstorbenen weniger ehren, ich empfand die portugiesischen nur weitaus ehrfurchtvoller.

Dafür steht in nahezu jedem Garten ein sogenanntes Hórreo, ein steinernes Getreidelager auf Stelzen, immer mit einem Kreuz verziert und wohl absolut typisch für diese Gegend.

Während der heutigen Etappe kam mir der Gedanke, dass sich der Camino sinnbildlich durchaus mit dem gesamten Leben vergleichen lässt. Beginnt unser Weg mit einer gewissen Unsicherheit, verursacht durch den Mangel an Erfahrung und Wissen, werden wir ob dieser Dinge mit jedem Tag unweigerlich reicher. Dabei begegnen uns täglich neue und unterschiedlichste Menschen, von denen einige länger und andere kürzer in unserer Gesellschaft verweilen. Und so wird das Ende des Weges nicht mehr zu dem Ziel, welches es zu erreichen gilt, sondern welchen Weg wir dahin beschritten und mit welchen Menschen wir diesen und die Momente, die als Erinnerungen haften bleiben, erleben und teilen durften.